Klaus fragt nach:

Klaus fragt nach:

„Danke Hans, dass du uns – wenn auch nicht ganz freiwillig – dein Gesicht zeigst und deinen Namen genannt hast. Was du gesagt hast, ist aber nichts Neues. Versuchst, deine Träume zu behalten und sie zu analysieren. Das versuchen die Menschen schon seit Jahrtausenden. Ganze Bibliotheken sind mit ‚Traumdeutungsbüchern‘ gefüllt. Es gibt viele Traumdeutungslehren, und auch Traumdeuter gab und gibt es einige. Die meisten davon aber sind Spinner, wenn du mich fragst. Doch mich fragst du ja nicht.

Du glaubst, dass Gott ab und zu mit dir spricht – was viele vor dir auch schon geglaubt haben – George W. Bush ist ein lustiges Beispiel, aber auch viele Propheten des Alten Testaments glaubten das. Dann kam Jesus, später auch Mohammed und noch viele andere Visionäre und Heilige oder auch Scheinheilige. Alle glaubten, Eingebungen und Erleuchtungen von Gott zu haben. In den fernöstlichen Religionen gibt es auch etliche dieser Exemplare  zu benennen.

Und jetzt erzählst auch du uns, lieber Hans, dass Gott dann und wann zu dir spricht. Ich kann darüber nur lächeln. Eigentlich ist es ja ganz einfach: Ich schließe die Augen, bringe mich in eine entspannte Position, konzentriere mich und bete. Und dann, manchmal, höre ich eine Stimme, die zu mir spricht. Er sagt mir vielleicht, was ich tun soll, oder er offenbart mir liebenswürdigerweise ein ganz kleines Stück des ‚großen Geheimnisses‘, was er ja ansonsten eigentlich nicht tut. Wenn es dir hilft, es sei dir gegönnt. Aber wir, und dabei schaute er in die Runde der anderen, können eigentlich auf deine Visionen verzichten.

Von Träumen berichtet uns auch der große portugiesische Schriftsteller Fernando Pessoa. In zahlreichen Pseudonymen und auch Heteronymen (ähnlich wie Pseudonyme, nur bei den Heteronymen haben alle Pseudonyme eine eigene Biografie und schreiben unter ihrem Heteronym quasi selbst), beschäftigt er sich mit der Realität und den Träumen. Er stellt die Frage, ob nicht die Realität auch nur ein Traum sei. Letztlich gäbe es keine Realität, sondern nur Träume. Wir Menschen wären auch nur Traumgestalten.

Das ist indes auch nichts Einzigartiges. Schon viele hatten diese Ideen. Franz Grillparzer (‚Der Traum ein Leben‘, 1834 im Burgtheater Wien uraufgeführt), orientierte sich an dem Drama von Pedro Calderón ‚Das Leben ist ein Traum‘ aus dem Jahre 1635. Dort ging es um die Frage der Freiheit und der Verantwortung. Aber das würde in diesem Gespräch zu weit führen.

Was ich sagen möchte, geht um eine der Grundfragen auf diesem Boot: ‚Was wissen wir, was können wir wissen?‘

Pessoa orientiert sich unter anderem an Platon. Sokrates sagte ja, wie es so oft heißt: ‚Ich weiß, dass ich nichts weiß‘. Das ist ja ein Widerspruch in sich selbst. Wie kann er so etwas behaupten? Wenn er nichts weiß, kann er auch das ja nicht wissen. Also gibt es doch ein Wissen. Aber, wer sich nur ein ganz klein wenig mit Platon beschäftigt, weiß, dass dieser blöde Spruch nur auf einem Übersetzungsfehler beruht, und dass Platon niemals einen solchen paradoxen Schwachsinn erzählt hätte. Er stellte nur die Möglichkeit des menschlichen Wissens grundsätzlich in Frage. Letztlich kam er auch nicht weiter als wir alle auf diesem Boot: Am Ende herrschte auch bei Platon Ratlosigkeit.

Aber Pessoa ging noch weiter. Er ließ einen seiner Heteronyme behaupten: ‚Ich kann nicht wissen, dass ich nichts weiß.‘ Diese Lächerlichkeit nannte er dann ‚Ironie‘ und bezog sich dabei auf Sanchez. Der 1550 geborene Franciscus Sanchez war ein Skeptiker, der alles hinterfragte. Er wäre nie auf die Idee gekommen, im Aristotelischen Sinne beweisen zu können, dass er nichts weiß. Auch bei ihm herrschte am Ende – wie schon bei Platon – Ratlosigkeit. Wer will, kann das alles nachlesen. Am Ende wird er erkennen, dass auch die Philosophen und die Dichter uns nicht weiterhelfen.

Also, lieber Hans, bevor ich dich frage, was du damit meinst, dass ich ‚auf der richtigen Spur sei‘ (wenn ich dich recht verstanden habe), möchte ich dich doch dringend ersuchen, mit den Beschimpfungen anderer aufzuhören, z.B. der Julia, die wenigstens ihren evangelischen Glauben hat. Ich kann es aber verstehen, dass es dich ärgert, dass sie dir die Kapuze weggerissen hat.“

Die Reaktionen der Anderen

 

Die Reaktionen der Anderen

Carlos, Michael, Julia und Klaus rückten allmählich zu dem Vermummten am Bootsrand hin, so dass Berndt entsetzt rief: „Passt auf, das Boot bekommt Schlagseite. Bitte nicht alle zum Bootsrand rutschen, sonst kentern wir. Bleibt bitte möglichst in der Mitte des Bootes.“ Widerstrebend hielten die anderen inne und rutschten wieder in die Mitte. Nur Julia näherte sich immer mehr dem Vermummten. Carlos rief: „Berndt hat recht. Wir hören dir gerne zu und wollen auch mit dir diskutieren. Aber zunächst möchten wir wissen, wie du aussiehst und wer du bist.“ Michael nickte ebenfalls zustimmend. Klaus ergänzte: „Ja, wir sind alle wissbegierig und möchten gerne mit dir diskutieren. Aber mit einem Kapuzenmann können und wollen wir nicht reden.“

Währenddessen war Julia immer näher an den Vermummten gerutscht, und plötzlich, ohne Vorwarnung, riss sie ihm die Kapuze weg. Er versuchte noch, diese festzuhalten, aber vergebens.

Da saß er nun, in sich zusammengesunken, und sah die anderen an. Er war nicht mehr jung, aber auch noch kein Greis. Seine Haare waren grau, fast weiß, und ganz kurz geschnitten, vielleicht auf fünf Millimeter. Seine blaugrauen Augen fixierten Julia und die anderen.

„Jetzt seid ihr aber stolz“, brummelte er. „Vor allem die Herrin Julia, die nur alles weiß, was ihr die evangelische Pfarrerin sagt. Euer Geschwätz klingt wirklich recht blöd. Ihr wisst nichts und seid auch noch stolz darauf, beweihräuchert euch selbst mit eurem Nichtwissen. Habt ein bisschen gelesen und ein wenig studiert und meint nun, mit eurem bisschen Verstand kämet ihr weiter. Bringt Definitionen, verwerft sie wieder, stellt erneut alles in Frage und kommt nicht weiter. Dreht euch im Kreise. Der Einzige, den man ein wenig ernst nehmen kann, ist Klaus. Er ist auf einer Spur, weiß nur selbst nicht, auf welcher.

Ich bin kein Gott und auch kein Prophet. Aber ich versuche, Dinge zu verstehen. So, wie Ihr das auch tut. Einiges habe ich gelesen, noch viel zu wenig, fürchte ich. Aber ich bin auf der Spur, und ich hoffe, dass ich noch vor dem Ende meines Lebens etwas weiter gekommen sein werde.

Ganz viel gebe ich auf Träume und Visionen. Träume haben wir jede Nacht, aber leider vergessen wir die meisten während des Lebens im Tagesbewusstsein. Ganz schlimme, ganz wichtige oder auch immer wiederkehrende behalten wir uns. Das geht bis in die Kindheit zurück. Aber es scheint möglich zu sein, bei genügender Konzentration Träume besser behalten zu können. Ich versuche, das zu üben. Dafür gibt es etliche Kniffe, Hilfsmittel und Techniken. Leider stellen die meisten Träume nur Verarbeitungen des Tages dar oder versuchen, Ängste und Begierden zu bewältigen oder auch Sehnsüchte zu stillen. Aber einige scheinen ganz besondere Bedeutung zu haben, da wird der Vorhang zum Jenseits ein wenig geöffnet. Wenn wir es lernen, diese Träume zu behalten, dann können wir sie analysieren und im Leben weiter kommen.

Also versuche ich, ein bewusster Träumer zu werden.

Außerdem bete ich regelmäßig zu Gott, zu meinem Gott. Zu dem einen Gott, der alles und daher auch mich erschaffen hat. Ich bete auf meine eigene Weise, die ich in meinem Leben gefunden habe oder besser ‚gefunden zu haben glaube‘. Ob diese Weise auf Dauer oder auch für andere die richtige ist, kann ich nicht sagen.

Und manchmal spricht Gott zu mir. Ihr könnt lächeln oder mich für verrückt halten, mich mit anderen Menschen vergleichen, die das auch von sich behaupten oder behauptet haben und die ihr wahrscheinlich auch belächelt oder für verrückt haltet. Was soll’s? Jeder muss seinen eigenen Weg finden und gehen. Aber wenn man will, hilft Gott dabei. Davon bin ich überzeugt; denn ich glaube fest daran.

Ich könnte noch vieles sagen, aber jetzt wäre es wahrscheinlich zu viel.

Also versuche ich, herauszufinden, was Gott von mir will.

Übrigens – wenn ihr es denn wollt: Mein Name ist Hans.“

Berndt antwortet

 

Berndt antwortet:

„Was du gesagt hast, Vermummter ohne Namen, klingt sehr plausibel. Es klingt fast wie Meister Eckhart oder Robert Musil. Aber in einer leichten, populistischen Version. Trotzdem erschreckt es mich. Eigentlich hast du auf unserer Bootsreise nichts verloren; denn du glaubst, etwas zu wissen. Zumindest tust du so. Du sprichst in prophetischen Worten zu uns und willst uns erklären, was Gott ist, was er will und was wir tun sollen.

Aber genau das brauchen und wollen wir hier nicht. Schon so viele Scharlatane haben versucht, uns Gott zu erklären. Aber wir wissen ja gar nicht, ob es Gott gibt. Wir brauchen keine neuen Propheten, denke ich. Es hat schon so viele gegeben, aber keiner von ihnen hat uns die Erlösung, den Frieden, die Weisheit gebracht. Die Juden warten heute noch auf den Messias. Und sie lassen Millionen von Palästinensern in ihrem ‚gelobten Land‘ krepieren. Begründen dies scheinheilig mit Messer- und Raketenangriffen, aber sind eigentlich nur Rassisten. Dabei stammen sie mit den Palästinensern von derselben ‚Rasse‘. Die Christen glauben, dass Jesus der Messias war, aber sie hören nicht auf seine Worte. Und geholfen hat er der Welt bisher auch nicht. Millionen von Toten wurden im Namen der sogenannten ‚Christenheit‘ geopfert. Die Muslime glauben, dass Mohammed ihnen die Weisheit erklärt hat, aber sie bekriegen und töten sich gegenseitig und sind völlig zersplittert. In Asien gibt es viele Götter, aber den Frieden und die Weisheit finden wir auch dort nicht. Egal, ob im Taoismus, Hinduismus oder Buddhismus, es gibt Millionen von Vorschriften und immer wieder Gewalt und Kriege.

Wenn es einen Gott gibt – DAS kann er doch nicht wollen! Oder doch?

Lieber Vermummter: Wenn wir weiter sprechen sollen, dann verrate uns bitte zunächst Deinen Namen, sage uns, woher Du kommst und was Du von uns willst, und dann können wir gerne auf Augenhöhe miteinander kommunizieren. ‚Götter‘ und ‚Propheten‘ haben auf unserem Boot nichts verloren.

Wir SUCHEN den Weg, aber wir finden ihn nicht. Das ist das Dilemma. Wir wissen nichts, aber sind wissbegierig. Ich bleibe dabei: Wir drehen uns im Kreis. Und wir kennen keinen Ausweg. Oder doch?“

Der Vermummte fährt fort:

Der Vermummte fährt fort:

„Wenn ich mit Gott spreche, frage ich: ‚Wie können wir uns Dich vorstellen? Du schufst uns nach Deinem Bilde. Wir sind ein Teil von Dir und Du bist ein Teil von uns?‘

Ist das nicht frevelhaft und gotteslästerlich?

‚Nein, mitnichten.‘

Stellt Euch das so vor:

Du, lieber und großer und gütiger Gott erfüllst uns ganz, wenn wir die menschlichen, die körperlichen Eigenschaften weglassen, wenn wir ‚leer‘ sind. Dann füllst Du uns mit Deinem göttlichen Wesen. Denn vor Gott gibt es kein Vakuum. Wenn etwas leer ist, füllt er es aus.

Dann sind wir Gott. Dann SIND wir.

Das ist das SEIN. Es ist nicht abhängig von Raum oder Zeit. Es ist ewig.

Andererseits aber sind wir nur eine Zelle von Gott, ein winziges Segment von ihm; denn er ist unendlich groß. Er ist umfassend und für uns Menschen unergründlich.

So können wir das für uns Menschen plausibel machen: Eine von Gottes Zellen sein zu dürfen, ist eine große Gnade. Denn Gott kümmert sich um jede seiner Zellen, sie sind ja Teile von ihm.

Es ist wie in unserem Körper, den uns Gott für die Dauer unseres Erdenlebens zur Verfügung gestellt hat. Er besteht aus Billionen von Zellen. Einzelne davon sterben schnell ab, die äußeren Hautzellen zum Beispiel. Sie fallen ab, werden abgewaschen oder abgeschnitten. Und trotzdem sind sie nicht sinnlos. Sonst wären sie nicht da. Manche existieren nur sehr kurz. Die meisten geben nur in großen Mengen Sinn. Eine einzige Zelle hat kaum Bedeutung. Manche Zellen kommen aus früherer Zeit. Wie zum Beispiel die Haare: In großen Gruppen können sie uns Wärme und Schutz geben, wenigstens ein bisschen. Aber wir brauchen sie heute eigentlich nicht mehr. Jedenfalls nicht so, wie die Vögel die Federn brauchen oder die Bisamratten oder Biber das Fell.

Manchen der heute lebenden Menschen sind für Gott vielleicht so überflüssig wie die Haare es bei uns sind, geworden sind.

Aber die Haare verleihen uns auch Schönheit. Wie der Bart dem Manne oder die langen Haare manchen Frauen oder Männern oder auch die Nägel und Kopf- und Barthaare bei den Sikhs. Sie erkennen wohl die Göttlichkeit der Haare. Jetzt fange ich an zu verstehen, warum die Sikhs ihre Haare nicht schneiden dürfen. Das trifft dort wohl für Männer und Frauen zu.

Lieber Gott, selbst wenn wir nur Haare oder Nägel von Dir sein dürfen, müssen wir dankbar sein, denke ich.

Manche Zellen von Dir sind aber vielleicht auch Organzellen, manche gehören zum Sehen, manche lassen das Herz schlagen, manche gehören zum Rückenmark, manche zum Gehirn. Manche sind wichtig, manche essentiell, manche überflüssig. Aber wir vermögen das nicht zu beurteilen.

Aber immer können es nur mehrere, viele Zellen sein, die eine Funktion erfüllen.

Eine einzelne Zelle von Dir kann kaum etwas ausrichten. – Höchstens vielleicht schreiben, singen, Dich loben oder zu Dir beten.

Ich danke Dir, dass ich eine Deiner Zellen sein darf.

Manche Gruppen von Menschen haben vielleicht so einen göttlichen Sinn.

Aber sie haben wohl keinen Sinn, wenn sie sich gegenseitig bekämpfen oder ausrotten.

Deshalb vermeiden es vielleicht die gläubigen Sikhs, dass sie mit ihren Händen oder Werkzeugen ihre Nägel und Haare abschneiden. Es ist für uns ‚Westler‘ oder ‚Christen‘ nur schwer nachvollziehbar, aber es ist verständlich.

Wir müssen und sollen unsere Zellen pflegen. Denn alle sind ein Teil von Gott.

Wenn wir aber mit unseren Händen und Werkzeugen beginnen, andere Menschen – oder auch Tiere – zu töten und zu vernichten, dann ist das eine Rebellion gegen Gott. Ausgenommen das ‚Einverleiben‘, das wir während unserer Lebenszeit benötigen. Vegan oder vegetarisch oder was auch immer: Wir müssen uns andere Zellen ‚einverleiben‘, um überleben zu können.

Und wie ist es bei Dir, großer Gott? Verleibst Du Dir auch Zellen ein für Dein ewiges Überleben? Verleibst Du Dir Sterne und Galaxien ein?

Diese Gedanken übersteigen unseren menschlichen Rahmen. Wir haben allenfalls eine Ahnung davon, aber mehr auch nicht.

Ich fasse also noch einmal zusammen:

Wir alle sind Zellen von Dir, lieber Gott.

Und Du erfüllst uns ganz, wenn wir unsere menschlichen Eigenschaften verlieren. Vor und nach unserem irdischen Leben sind wir von Dir erfüllt. JE LEERER WIR SIND, UMSO VOLLER SIND WIR VOR GOTT.

Deswegen brauchen wir keine Angst zu haben.

Aber während unserer von Dir gegebenen Lebenszeit sollen wir Dich loben, preisen und auch die anderen Wesen, die anderen Zellen, tierische und pflanzliche, pflegen, so gut wir können.

Zum Teil natürlich uns auch einverleiben, aber nur so weit, wie wir das für unser Leben brauchen.

Aber wir dürfen keine Zellen aus anderen Gründen vernichten oder töten.

Dann leben wir in Frieden miteinander und in Frieden mit Gott.

Wir sind Zellen Gottes und Gott erfüllt uns ganz.“

 

Die anderen Mitreisenden waren jetzt erst recht sprachlos und wußten eine ganze Zeitlang nicht, was sie entgegnen sollten.

Berndt ergreift das Wort

Berndt ergreift das Wort

„Ich glaube, wir sind an einem toten Punkt angelangt. Vielleicht sollten wir unsere Bootsfahrt abbrechen. Alle haben gesagt, was sie denken, glauben und fühlen. Jedenfalls so ungefähr. Wenn ich es recht sehe, sind dabei letztlich nur Fragen herausgekommen.

Aber wir haben ja von Anfang an gesagt, dass wir nichts wissen und dass wir suchen.

Was wollen wir denn in diesem Boot? Es gibt keine Antworten, nur Vermutungen und Behauptungen. Wir reden uns miteinander die Köpfe heiß. Aber es bringt nichts.

Ich fühle mich ganz elend. Warum? Ich war wohl von Anfang an nicht ganz aufrichtig. Ich habe euch alle zu dieser Reise eingeladen. Warum? Was soll diese Reise bringen?

Kann mir jemand helfen?“

 

Der Vermummte vom Bootsrand redet

„Ihr könnt mich alle für einen Fanatiker halten. Mein Name tut nichts zur Sache. Ich bin ein Einsamer. Ich bin eigentlich nur in dieses Boot gestiegen, um zuzuhören.

Aber, nachdem hier alles zum Stillstand kommt, will ich doch ein paar Worte sagen.

Ich glaube, dass ich ab und zu traumähnliche Visionen habe. Und dann glaube ich, Gott sprechen zu hören. – Ja, Ihr könnt darüber lächeln. Ist mir egal.

In einem meiner Träume sagte Gott zu mir: ‚Ohne das Böse kann es kein Gutes geben. Ohne den Zweifel gibt es keinen Glauben. Ich will, dass die Menschen sich aus Überzeugung, aus freiem Willen, zu mir, zu dem Guten, zur Liebe und nicht zum Hass und zum Egoismus bekennen. Erst durch die Überwindung des Bösen, des Satans, kann ein Mensch wirklich gläubig lieben und edel werden.

Also braucht es das Böse, den Satan, um letztlich Gutes tun zu können.

Und warum wurde Hiob, der Gerechte, so gequält, fragen manche?

Gerade diejenigen, die glauben, gut und edel zu sein, müssen die härtesten Prüfungen bestehen.

Vom Satan lasse ich mich nicht bequatschen und mir nichts einreden. Meine Prüfungen denke ich mir selbst aus; denn ich bin Gott.

Aber ich habe dem Satan große Macht gegeben; denn ohne den Filter des Bösen kann ich die Guten nicht erkennen. Das ist der Preis des freien Willens, den ich den Menschen selbst gewährt habe.

Alles hat seinen Preis, auch für mich.

Also müssen die wahrhaft Guten (Hiob, Jesus) die härtesten Prüfungen bestehen.

Doch nicht jeder Gute soll (oder kann) heilig werden. Das verlange ich von den Menschen gar nicht. Sie sollen nur erkennen – deshalb haben sie den Verstand – was gut und was böse ist. Dabei sollen sie das Böse ohne meine Hilfe überwinden und an mich glauben.

Das ist schon alles.

Dann kommt auch das Gute zu den Menschen, die Liebe, das Glück und das Paradies. In mir ist das Paradies. Und mein Licht ist so hell, dass es alles andere überstrahlt.

Aber Ihr Menschen könnt es noch nicht sehen und erkennen; denn sonst würdet Ihr erblinden. Ich zeige mich Euch nur von hinten (wie in der Bibel), oder im Traum. Folgt mir einfach, dann ist Satan besiegt und Ihr gehört zu mir.

Aber Ihr habt mehrere Chancen (Inkarnationen). Die Religionen des Ostens verstehen das besser als die Juden oder die Christen. Die wollen alles schon in einem einzigen Leben erreichen und deshalb quälen sie sich so. Aber es ist ihr Wille, und viele schaffen es auch von dort zu mir; denn ich bin gnädig und barmherzig. Keiner muss Angst haben, der sich ehrlich bemüht.

Hauptsache, es gibt für Euch keine anderen Götter oder Nebengötter.‘“

 

Michaels Probleme mit der Frageliste

Michael bittet um Entschuldigung

„Lieber Klaus, lieber Berndt, auch bei Dir, Carlos und bei Dir, Julia, bitte ich um Vergebung für meine sogenannte ‚Liste‘.

Wenn ich mich recht erinnere, ging es vorher um den ‚freien Willen‘ und die Frage der ‚Schuld‘. Ich habe nur daran erinnern wollen, dass wir diesen Problemen nicht mit ‚praktischen Beispielen‘ beikommen können. Noch keinem der bisherigen Philosophen, Theologen oder Schriftsteller ist es gelungen, diese Probleme zu lösen. Hierfür wären allgemeine Antworten nötig, die es aber ganz offenbar nicht gibt.

Und dann zählte ich – nur beispielhaft – ganz viele Fragen auf, die aus meiner Sicht bisher unbeantwortet sind. Es ist mir klar, dass diese spontan gestellten Fragen von unterschiedlichem Gewicht sind und sich zum Teil auch überschneiden.

Wenn jetzt Klaus beginnt, diese ‚Frageliste‘ Punkt für Punkt abzuarbeiten, dann bekomme ich ein ganz seltsames Gefühl. Ich fühle mich schuldig; denn ich wollte dieses Gespräch nicht dominieren und in eine bestimmte Richtung bringen. Wer bin ich, dass ich mit meiner Frageliste die Probleme der gesamten Welt, des Universums und der Schöpfung insgesamt aufzählen und erfassen könnte?

Ich finde die Argumente von Klaus sehr interessant und scharfsinnig, aber – mit Verlaub – auch hier und da ein wenig flach.

Vom ‚guten oder bösen‘ Gott kommt er zu der Überlegung, ob die Menschen vielleicht Gehilfen Gottes bei der Bekämpfung des Satans sein könnten. ‚Satan‘ hat er zwar nicht explizit gesagt, wenn ich mich recht erinnere, aber es war so gemeint.

Dann war er müde, was ich nach solch komplizierten Ausführungen gut verstehe.

Und nach einem Einwand von unserem Bootslenker hat er dann am nächsten Tag die ‚Wahrheit‘ und die ‚Wirklichkeit‘ problematisiert und seine ganz persönliche Kurzdefinition dazu gegeben.

Weiterhin gibt es nach seiner Auffassung weder Raum noch Zeit; das scheinen alles Erfindungen ‚Gottes‘ zu sein, um den Menschen das Leben zu erleichtern. So ähnlich habe ich das verstanden.

Und dann gipfelte es in der Frage, ob es neben dem ‚Diesseits‘ und dem ‚Jenseits‘ noch ein ‚Anderes‘ gebe. Was immer das sein soll.

Jetzt soll es im Eilverfahren zu ‚Schuld‘ und ‚Sühne‘ gehen.

Wobei wir dann bei Dostojewski wären…

Lieber Klaus, bei allem Respekt, so kann das doch nicht gehen. Du hast selbst gesagt, dass Du froh bist, dass wir anderen auch da sind. Ich habe den Eindruck, wir müssten erst einmal alle tief Luft holen.

Niemand von uns scheint momentan irgendwie weiter zu kommen. Vielleicht hätte ich meine ‚Frageliste‘ niemals erwähnen sollen.“