Michaels Fragen

Michael versucht zu vermitteln

„Ich bin ja für meine Kritik bekannt“, sagt er. „Aber dieses Gerede vom ‚freien Willen‘ und der ‚Schuld‘ geht mir wirklich auf den Geist. Damit haben sich so viele Philosophen befasst, und ihr glaubt, diesen Fragen mit sogenannten ‚praktischen Überlegungen‘ näher zu kommen. Glaubt mir, so einfach ist das nicht. Befasst euch zum Beispiel mit Dostojewski oder Kierkegaard. Die haben ganze Bücher darüber geschrieben.

Es geht doch um so viele Fragen:

  • Gibt es eine Schöpfung, oder ist alles nur Zufall?
  • Falls alles nur Zufall ist, warum ist das so?
  • Können wir an den Verläufen etwas ändern?
  • Falls es eine Schöpfung gibt, gibt es dann auch einen Schöpfer?
  • Gibt es Raum und Zeit?
  • Falls es Raum und Zeit gibt, gibt es auch etwas außerhalb des Raumes und außerhalb der Zeit?
  • Gibt es etwas ‚davor‘ und ‚danach‘ und ‚außerhalb‘?
  • Falls es etwas ‚davor‘ und ‚danach‘ oder ‚außerhalb‘ gibt, was könnte das sein? Gibt es irgendwelche erkennbare Hinweise dafür oder können wir das mit unserem Verstand ergründen?
  • Gibt es Materie? Gibt es eine ‚Dunkle Materie‘? Falls ja, was ist das? Oder ist alles Energie? Falls ja, was ist das? Gibt es ‚Leere‘? Gibt es ein ‚Nichts‘?
  • Gibt es überhaupt ‚etwas‘? Oder bilden wir uns alles nur ein? Aber wenn wir uns etwas einbilden, dann muss es ja zumindest ‚uns‘ geben, sonst könnten wir uns ja nichts einbilden. (So sieht es Descartes).
  • Aber falls es uns tatsächlich gibt, was sind wir? Sind wir nur eine besondere Art von Tieren oder etwas Besonderes?
  • Was bedeutet ‚Leben‘ überhaupt? Gibt es ein Gegenteil von ‚Leben‘? Leben auch Steine? Lebt das Wasser?
  • Was bedeutet ‚Tod‘? Gibt es einen Tod? Ist er nur ‚Abwesenheit von Leben‘? Oder etwas anderes?
  • Was kommt nach dem Tod? Kommt nach dem Tod das ‚Nichts‘ oder etwas anderes? Wie können wir das erfahren?
  • Falls etwas anderes kommt, was ist das? Sind die Wesen, die vor uns gelebt haben, noch da? Und die, die nach uns kommen, vielleicht schon da?
  • Oder stammt alles Leben nur aus einer ‚Ursuppe‘, aus der alles herauskommt, und in die alles wieder verschwindet?
  • Gibt es sogenannte ‚Inkarnationen‘?
  • Haben wir einen freien Willen? Können wir überhaupt etwas ‚wollen‘?
  • Falls es einen Gott gibt, hat er alles vorbestimmt? Oder experimentiert er nur? Ist er ein Spieler? Oder hat er einen Feind, den Teufel? Ist er mächtiger als das Böse oder nicht? Ist Gott wirklich allmächtig? Warum gibt es dann das Böse? Oder gibt es gar kein Böses? Ist alles gut? Auch das, was wir mit unserem beschränkten Menschenverstand als ‚böse‘ empfinden?
  • Gibt es überhaupt ‚Werte‘? Was sind ‚Werte‘?
  • Gibt es ‚Sünde‘ oder ‚Schuld‘? Oder wird uns das nur eingeredet?
  • Woher kommt das ‚Gewissen‘? Ist das eine Einbildung, etwas Anerzogenes oder etwas, das aus der Erfahrung stammt? Falls es ein Gewissen gibt, haben alle Menschen ein solches oder nicht? Falls nicht, warum haben manche kein Gewissen? Sind sie böse, verkümmert, unterentwickelt oder krank?
  • Falls es Gott gibt: Sind wir seine Kinder? Oder sind wir seine Ebenbilder? Sind wir selbst Gott? Oder können wir es werden? Was war mit Jesus? War dieser Gottes Sohn oder nur ein Prophet? Oder ein Scharlatan? Was bedeutet ‚Gott‘ überhaupt?
  • Was bedeutet die ‚Seele‘ (darüber haben wir ja schon gesprochen). Aber mir ist immer noch nicht klar, was die ‚Seele‘ denn sein soll. Trennt sich die Seele vom Körper? Wo ‚fliegt sie hin‘?
  • Haben auch Tiere oder Pflanzen oder Steine eine Seele?
  • Die Wahrheit ist ja bekanntermaßen etwas, das wir mit unseren Sinnen erkennen können, etwas, das uns ‚logisch‘ erscheint (über die Probleme der ‚Logik‘ haben wir allerdings schon gesprochen). Das, was nicht wahr ist, ist also unwahr, oder? Oder gibt es viele ‚Wahrheiten‘, je nach Blickpunkt?
  • Was ist aber die Wirklichkeit, die Realität? Gibt es überhaupt eine Realität oder gibt es viele Realitäten?
  • Gibt es neben der Realität, dem Universum, das wir zu sehen glauben, noch mehrere, andere, Paralleluniversen, die uns verschlossen sind, über die wir aber nachdenken können?
  • Können uns die Mathematik und die Wissenschaften überzeugende Antworten auf all diese Fragen geben? Oder stoßen die Wissenschaften immer mehr an Grenzen, die sie nicht überwinden können? Warum tauchen nach einer angeblich ‚wissenschaftlich bewiesenen‘ Sache dutzende neue Fragen auf?
  • Gibt es eine Lösung für all diese Fragen? Und falls ja, wo können wir die finden? In diesem Leben oder erst danach?

 

Entschuldigt diesen Monolog. Das war jetzt erstmal das, was mir so spontan einfiel. Es sind einfach nur Fragen über Fragen…“

Berndt entschuldigt sich und Carlos

Berndt entschuldigt sich

„Es tut mir leid, liebe Julia. Ich wollte Dich nicht in die Enge treiben und auch Deinen Glauben nicht hinterfragen. Das steht mir nicht zu. Du bist evangelische Christin und hast uns dankenswerterweise einen Einblick in Deinen Glauben gewährt.

Und, wenn ich mich recht erinnere, hattest Du uns anderen eigentlich eine Frage gestellt, zu der wir bisher noch keine Stellung bezogen haben. Du hast etwas von Deinem weinenden Schutzengel gesagt und gefragt, ob nur Gott bestimmen kann oder darf, wann unser irdisches Leben zu Ende sein soll. Ob also bei der Frage des Selbstmordes unser freier Wille endet.

Ich fühle mich dabei im Moment überfordert. Wer kann helfen?“

 

 

Carlos spricht

„Hier sind wir doch schon wieder bei einer Definitionsfrage angelangt“, sagt er. „Julia hat wie selbstverständlich vom ‚freien Willen‘ gesprochen. Haben wir denn einen solchen ‚freien Willen‘?

Julia sprach davon, dass es unser freier Wille sei, Selbstmord begehen zu können. Und sie sprach davon, wir sollten uns an praktischen Dingen orientieren. Nun gut, fragen wir praktisch: Wie viele Menschen, die völlig verzweifelt sind oder krank oder traurig, haben versucht, sich umzubringen, aber es ist ihnen nicht gelungen? Der Strick ist gerissen, das Medikament war zu schwach, ein Retter sprang ins Wasser hinterher oder hat den Selbstmörder von der Brücke weggezerrt oder vom Dach geholt, Ärzte haben dem Halbtoten gerade noch rechtzeitig den Magen ausgepumpt, der Lokführer konnte noch rechtzeitig bremsen usw.

In solchen Fällen wurden die potentiellen Selbstmörder also von außen daran gehindert, Selbstmord zu begehen. Sie hatten zwar den Willen, zu sterben, durften es aber nicht.

Gläubige könnten jetzt sagen: ‚Ihr Schutzengel hat ihnen geholfen‘, ‚Gott hat es nicht gewollt‘.

Aha: Der ‚freie Wille‘ war demnach gar nicht so frei. Er endete demnach dort, wo Gott eingriff. Oder?

Aber was ist dann mit denen, bei denen der Selbstmord geklappt hat? Damit war dann Gott wohl einverstanden. Oder? Aber wenn Gott es wollte, hätte es ja gar nicht des ‚freien Willens‘ des Selbstmörders bedurft. Dann hätte er ja den Menschen auch so holen können.

Ist alles vielleicht vorbestimmt? Wenn ich mir die Pistole an den Kopf halte und abdrücke, ist das dann mein freier Wille? Oder ist es Bestimmung? Und wenn ich nicht abdrücke und die Pistole wieder weg lege, ist das mein freier Wille oder Vorbestimmung?

Wer an Gott glaubt, kann diesem Gott letztlich alles unterjubeln. ‚Es ist alles Gottes Wille‘, sagen manche. Man kann morden, vergewaltigen, foltern, ich selbst bin ja nicht dafür verantwortlich. Es ist alles Gottes Wille. Oder?
Wenn es keinen freien Willen gibt, dann bin ich ja an nichts schuld. Nur Gott ist schuld.

Liebe Julia, du sprachst von dem ‚freien Willen‘. Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr frage ich: Haben wir wirklich einen freien Willen? Oder ist alles nur vorbestimmt? Irgendwie dreht sich alles im Kreise in meinem Kopf.“