Zusammenfassung des Bootslenkers und Julia tritt auf

Nach der kurzen Rede von Carlos herrscht zunächst Schweigen. Dann ergreift der Bootslenker wieder das Wort.

 

Der Bootslenker fasst zusammen:

 

Ich weiß nichts.

Ich suche.

 

Das waren unsere Prämissen. Und inzwischen haben wir schon mehrere Meinungen gehört. Ich habe von der Dunkelheit der menschlichen Geschichte erzählt, von unserer kurzen Lebenszeit. Ich habe uns mit Insekten verglichen, habe Diesseits und Jenseits ins Spiel gebracht, erstmals nach dem ‚Woher‘ und dem ‚Wohin‘ gefragt.

Unser erster Mitreisender brachte den ‚Verstand‘ ins Gespräch, er sprach vom ‚Glauben‘, der ‚Hoffnung‘ und dem ‚Warten‘.

Daraufhin versuchte ich, die Frage des Glaubens etwas mehr zu vertiefen und zwischen Glauben und Wissen ein wenig abzugrenzen.

Dann aber legte unser erster Mitreisender richtig los: Ganz vorsichtig fragte er nach der Liebe, dann befasste er sich ausführlich mit den Atheisten, die er stark in Frage stellte, wenn ich es recht interpretiere. Nebenbei problematisierte er den Begriff des „Bootsführers“. Seitdem nannte ich mich Bootslenker.

Unser Mitreisender stellte dann nur noch Fragen: Nach der Geschichte und der Zukunft der Menschheit, den ethischen Begriffen, dem Denken und der Zukunft der Bildung.

Das war harter Tobak, und ich versuchte, zusammenzufassen und in den Betrachtungen ein wenig weiterzukommen. Die Angst vor der Unklarheit des Jenseits, vor dem Fallen in eine undurchdringliche Nacht ließ mich nicht los.

Da schaltete sich zum Glück der zweite Mitreisende ein: Er schalt uns des „Rumeierns“, sagte, wir seien zum Einen neugierig, und zum Anderen hätten wir nur Angst. Alsdann versuchte er, alles irgendwie miteinander zu verknüpfen, den Glauben und den Unglauben, die Religionen, die Philosophie, die Naturwissenschaften, die Gene, unsere Menschheitsgeschichte, und letztlich stellte er die Frage nach der Seele.

Was ist klar, was ist logisch, was ist richtig? Fragte er. Brauchen wir neue Methoden des Denkens oder ein neues Denken überhaupt?

 

Und dann kam noch Carlos. Er fragte, ob die Menschen eine Fehlentwicklung der Natur seien. Dann griff er die Problematik der Seele auf, wälzte sie hin und her, fragte nach dem Ob der Seele, ob auch Tiere eine Seele haben, und schließlich stellte er wieder die Frage nach der Wahrheit.

 

Wie sollen wir weiterkommen?

 

Als erstes, denke ich, dem Beispiel von Carlos folgend, sollten wir uns alle beim Namen nennen. Ich bin Berndt.“

„Ich bin Michael“, sagte der erste Mitreisende. „Ich nenne mich Klaus“, sagte der zweite Mitreisende.

Plötzlich hob sich ein Kopf, der unter einer großen Kapuze steckte: „Ich bin Julia“, sagte die Frau, die unter dem Umhang mit der Kapuze steckte. „Das ist sehr interessant, was Ihr so von Euch gebt, aber alles sehr theoretisch. Ich denke, wir sollten vielleicht versuchen, anhand von praktischen Beispielen weiterzukommen.“

„Gerne, nur zu“, murmelten die Männer. „Bitte sage, was Dich bewegt“, sagte Berndt.

 

„Nun gut“, sagte Julia. „Also, ich bin eine mehr oder weniger gläubige Christin. Und in meinem Leben habe ich schon etliche Dinge erlebt, Unfälle usw., bei denen ich eigentlich hätte sterben müssen. Aber irgendeine Stimme hat mir bisher immer gesagt, es sei noch nicht soweit, meine Zeit sei noch nicht gekommen. Ich nenne das, was bisher bei mir war und mich gerettet hat, meinen Schutzengel. Schon meine Mutter und Großmutter haben an den Schutzengel geglaubt. Ich bin mir sicher, dass jeder von Euch schon solche Erfahrungen gesammelt hat.

Vor einigen Tagen hatte ich einen Traum: Mein Schutzengel weinte. Ich kann ihn nicht beschreiben, aber er war da und er weinte. Warum? Ich hatte darüber nachgedacht, Selbstmord zu begehen, wenn ich älter, dement oder krank würde.

Dazu war ich bisher immer fest entschlossen. Vor allem deshalb, weil ich weiß, dass es die Großfamilien in unserer Gesellschaft, die die Alten schützen, kaum noch gibt, und weil ich weiß, wie schlimm es um die professionelle und medizinische Altenpflege in unserer Gesellschaft steht. Eigentlich nichts Schlimmes, dachte ich, schließlich hat uns der liebe Gott den freien Willen gegeben, und egal, was in der Bibel steht, wenn uns der liebe Gott diesen freien Willen gegeben hat, dann können wir den doch auch dafür benutzen, unsere irdische Existenz selbständig zu beenden. Dann müssen wir uns auch nicht wegen jahrtausendealten Vorschriften an unserem Lebensende quälen lassen. So dachte ich bisher.

Aber mein Schutzengel weinte. Ich dachte darüber nach und kam zu folgendem Ergebnis: Gott gab uns den freien Willen, aber auch den Schutzengel. Das heißt doch, dass unser freier Wille dort enden soll, wo eigentlich der Schutzengel eingreifen will und muss. Denn nur Gott bestimmt, wann unser Leben zu Ende sein soll.

Das ist doch logisch. Oder? Was meint Ihr dazu? Hat das überhaupt etwas mit unserer Reise zu tun?“

5 Gedanken zu “Zusammenfassung des Bootslenkers und Julia tritt auf

  1. Ich empfind das auch so, dass „nur Gott bestimmt, wann unser Leben zu Ende sein soll“. Aber einen wirklichen Grund kann ich nicht nennen, es ist eher eine Ahnung, ein Gefühl, dass wir unser Leben nicht beenden dürfen, weil wir auch nicht entschieden haben, es zu beginnen. Aber wer und was ist der Schutzengel? Was versteht Julia darunter? Ist es nicht zu einfach, sich eine Instanz zu „erfinden“, die uns retten und schützen kann? Sollten wir nicht triftigere Gründe suchen, die uns in dieser Frage orientieren können und auch überzeugend für Menschen sein können, die an keinen Schutzengel glauben?

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    • Julia fragt: Ich schätze Deinen Beitrag. Vielen Dank.
      Wenn ich Dich recht verstehe, unterscheidest Du zwischen „triftigen Gründen“ und Ahnungen oder Gefühlen, die aber keine „wirklichen Gründe“ sein können.
      Also ist mein von Gott geschickter Schutzengel, an den ich glaube, an den meine Mutter und meine Großmutter glaubten und der weinte, nachdem ich viele Male an Gott gebetet hatte, kein überzeugender und triftiger Grund für Dich.
      Hättest Du einen Vorschlag, wo die Menschen „richtige“ Gründe finden könnten?

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    • Berndt-Baumgart January 9, 2017 at 6:14 pm Edit Julia fragt: Ich schätze Deinen Beitrag. Vielen Dank. Wenn ich Dich recht verstehe, unterscheidest Du zwischen “triftigen Gründen” und Ahnungen oder Gefühlen, die aber keine “wirklichen Gründe” sein können. Also ist mein von Gott geschickter Schutzengel, an den ich glaube, an den meine Mutter und meine Großmutter glaubten und der weinte, nachdem ich viele Male an Gott gebetet hatte, kein überzeugender und triftiger Grund für Dich. Hättest Du einen Vorschlag, wo die Menschen “richtige” Gründe finden könnten? Like Reply

      Gefällt 1 Person

      • Ich versuche nur zwischen „allgemeingültigen“ Gründen und solchen, die eher für bestimmte Menschen, die bestimmte Erfahrungen gemacht haben, zu unterscheiden. Beide Kategorien überschneiden sich zwar oftmals. Julia sagt am Ende ihrer Rede „das ist doch logisch“. Ich glaube jedoch, dass es schwierig ist, eine allgemeingültige Logik in persönlichen Erfahrungen zu suchen, selbst wenn viele Menschen ähnliche Erfahrungen machen. Es gibt ja auf der anderen Seite sehr viele Menschen, die das ganz anders sehen. Vielleicht gilt es, auch für sie Gründe und Argumente zu suchen?

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  2. Dein Anspruch scheint sehr hoch zu sein. Aber wurde denn jemals, in der gesamten Geschichte der Menschheit, irgendetwas gefunden, das für alle Menschen „allgemein gültig“ war oder ist? Ich kenne nichts dergleichen. Eine Logik für alle scheint es offenbar nicht zu geben.
    Aber wenn Du doch etwas kennst, das für alle gilt, wäre ich Dir für einen Hinweis sehr dankbar.
    Falls aber nicht, wäre es dann vielleicht nicht besser, das Ganze zunächst einige Stufen tiefer anzugehen und Gründe zu suchen, die einige Menschen gemeinsam haben und akzeptieren?

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