Der Satan im Backofen

Vor langer Zeit gab es in unserem kleinen Markt noch einen öffentlichen Backofen, in dem die Frauen am Wochenende ihr Brot backten. Auch große Bleche mit Sonntagskuchen wurden dort hineingeschoben. Manchmal wanderte sogar das eine oder andere  Reinderl (=Gefäss mit zwei Henkeln, rund, oval oder rechteckig, das man in den Backofen schiebt) mit einem Spanferkel hinein. Am Backofen wurde immer viel geredet und getratscht, meistens über diejenigen, die gerade nicht anwesend waren.

Die alte Marei Huber betrieb den Backofen.  Sie war Witwe, mittelgroß, aber kräftig, mit rundem Mondgesicht, freundlichen braunen Augen, schulterlangen, schwarzgrauen Haaren, kräftigen Armen und einem riesigen Hinterteil. Eine Kostverächterin war sie nicht, und manches Mannsbild, aber auch junge Buben wussten sie zu finden, wenn sie ganz allein in dem kleinen Fachwerkhaus war, das hinter einer Hecke neben dem Backofen stand. Sie wollten dort etwas Brot holen, sagten sie, wenn jemand fragte. Und gerne holten die alten und jungen Mannsbilder Brot bei der Marei.

Bei den Frauen war Marei entsprechend weniger beliebt. Sie passte nicht in die allgemeine Ordnung dieser Gemeinde. Es hatte manchmal den Anschein, als wollte sie bewusst gegen Regeln verstoßen. Sonntags ging sie nur selten in die Kirche, beteiligte sich nicht am täglichen Frauentratsch, und wenn sie direkt angesprochen wurde, schürzte sie nur die Lippen und sagte: „Joa mei. I woass aa nit.“ Ja, so war sie. Nicht zu packen.

Andererseits aber wurde sie immer wieder gebraucht; denn keine konnte so gut backen wie sie. Und sie kannte haufenweise Rezepte, wenn sie gefragt wurde. Rezepte  für jeden Anlass. Auch Kräuter sammelte sie, mit denen sie schon manchen geheilt hatte. Sehr zum Leidwesen des alten  Arztes, der nur an die Wissenschaft glaubte und sie eine „Scharlatanin“ und „alte Hexe“ nannte. Aber sie hatte schon manchem Kind auf die Welt geholfen, denn sie versah auch Hebammendienste. Marei war einfach ein Weib voller Widersprüche.

Aber jetzt soll es der Beschreibung genug sein. Kommen wir zum Kern dieser kleinen Geschichte.

Es war an einem schwülen Tag Ende Juli. Lange hatte es nicht mehr geregnet. Die Luft war staubig. Das Heu war schon eingebracht, bis zur Getreideernte war noch etwas Zeit. Und so hatte vor vier Tagen die Tochter des hiesigen Tischlermeisters den Erben eines großen Bauernhofes geheiratet.  Eine riesengroße Hochzeit war es gewesen, die drei Tage lang dauerte. Es wurde gegessen und getrunken, was das Zeug hält. Aber jetzt ging es wieder an die Arbeit.

Der Backofen war in diesen Tagen fast die ganze Zeit in Betrieb gewesen. Immer wieder wurden Kuchenplatten hineingeschoben, neues Brot musste gebacken werden, und etliche kleine Ferkel fanden dort ihr letztes Schicksal. Dementsprechend fürchterlich sah der Ofen jetzt aus. Der Ruß und Dreck darin war wohl fingerdick. „Was soll’s“, seufzte Marei. „‘S muass hoalt sei.“ So nahm sie die Bürsten und Spachteln zu Hand, stieg auf die kleine Trittleiter und wollte in den Ofen klettern. Aber dann besah sie sich eines Besseren. „Die ganzen Kleider werden ja dreckert“, dachte sie. Und da es sehr warm und schwül, und der Backofen ja von der Hecke geschützt war, zog sie sich aus. Ganz und gar, bis sie splitternackt war. Dann kletterte sie mit ihren Reinigungsgerätschaften hinein. Es dauerte mehr als eine Stunde, bis alles abgekratzt, abgebürstet und abgewischt war. Immer  wieder musste sie den Kopf herausstecken und durchschnaufen, wenn sie keine Luft mehr bekam. Aber dann, gottlob, war es endlich geschafft!

Marei kletterte aus dem Backofen heraus, ihr dickes Hinterteil vornweg. Dieses war pechschwarz, die riesigen Schenkel  ebenso. Und dann geschah das Schreckliche: Just, als sie versuchte, langsam heraus zu kraxeln, kam der Postbote auf seinem Dienstradl vorbei. Er stellte das Radl an die Hecke, wollte ans Fachwerkhaus gehen, und blickte zum Backofen. Er riß entsetzt die Augen auf und rannte weg. „Der Deifi kimmt aus dem Baggofe“, schrie er. „Hilfe, der Deifi kimmt.“  Ratzfatz, füllte sich die Hauptstraße, alle rannten sie aus den Häusern. Was wohl sei, wollten alle wissen. Und der Postbote schrie weiter.

Mittlerweile hatte Marei genügend Zeit gehabt, aus dem Ofen zu klettern. Flink klaubte sie ihre Sachen zusammen, eilte in das kleine Fachwerkhaus, verschloss die Tür und wusch sich gründlich. Als die Leute anklopften, war es vergeblich. Das Klopfen wurde immer heftiger, und endlich öffnete Marei die Tür. Frisch gewaschen, in sauberen Kleidern sagte sie treuherzig: „Hoab Mittagsschlaf gehalten, bei dera Hitz. Woar aufm Kanapee. Woas gibt’s?“

Alle sahen sich ratlos an. Der Postbote war still geworden. Die Geschichte wird noch bis heute erzählt.

Bayerische Kurzgeschichte von Berndt Baumgart

Der Helfer

Die Menschen waren verzweifelt. Es gab kaum noch etwas zu essen und zu trinken. Eine große Dürre herrschte. Trotz allen technischen Mitteln ging nichts mehr. Ständig gab es Streit und Kämpfe. Viele Tote waren an jedem Tag zu beklagen. Die Regierung konnte nicht helfen. Polizei, Justiz und auch das Militär waren machtlos.

Da kam ein Fremder und sprach: „Liebe Menschen, ich kann Euch helfen. Vertraut mir. Ich habe große Kräfte. Es wird regnen. Eure Wiesen und Wälder werden wieder grün. Es wird Nahrung im Überfluss geben. Ihr braucht Euch nicht mehr zu bekämpfen und gegenseitig zu töten. Wenn Ihr einig seid und mir vertraut, wird es Euch nicht reuen. “

Die Menschen wurden still und hörten zu. Die Ältesten wurden zusammengerufen und berieten sich. Manche zweifelten. Aber die Not war groß. „Wir haben nichts zu verlieren“, sagten einige. „Schlimmer kann es nicht mehr werden. Er soll es halt versuchen. Wenn es nicht klappt, jagen wir ihn fort oder schlagen ihn tot.“ Sie gingen zu ihm und sagten, dass sie prinzipiell einverstanden seien.

„Sehr gut“, sagte er. „Das ist eine kluge Entscheidung. Aber ich habe eine Bedingung, bevor ich Euch helfe. Ich werde Euch nur an Werktagen helfen, sechs Tage in der Woche. Alles wird bestens sein. Aber am siebten Tage will ich meinen Spaß haben. Ich werde einiges wieder zerstören; denn ich besitze auch Vernichtungskräfte, die ab und zu herauswollen. Ich kann helfen und aufbauen, aber ich habe auch eine Seite, die Ihr ‚böse‘ nennt. Diesen Teil werde ich am siebten Tage ausleben. Danach werde ich wieder ‚gut‘ sein. Aber entscheidet Euch wie Ihr wollt. Ich will Euch nicht beeinflussen.“

Das klang nicht mehr so gut. Wieder traten die Ältesten zusammen. Sie waren sehr nachdenklich geworden. Lange wurde gestritten. Viele hatten Angst vor dem siebten Tag. Aber sechs Tage lang sollte ja alles gut gehen. Sie wollten endlich wieder essen und trinken und nicht mehr streiten. Sie brauchten endlich wieder Regen . Was sollte der „Helfer“ schon an einem Tag, dem siebten, ausrichten? Es könnte sintflutartig regnen, er könnte einiges zerstören. Aber sie würden sich schon gegen ihn wehren, wenn es zu schlimm käme. Und danach würde er ja wieder ‚gut‘ sein. Das habe er selbst gesagt.

Also stimmten sie zu; denn die Not war sehr groß. Und schlagartig änderte sich ihre Welt.

Es regnete ganz leise, und dennoch schien die Sonne sanft. Die Bäcker hatten viel Mehl und buken fleißig Brot. Die Märkte waren gefüllt. Alle Menschen schauten fröhlich und lachten. Überall herrschte gute Laune. Die Kinder spielten. Auch den Tieren ging es gut. Die Wälder und Wiesen waren grün, und viele bunte Blumen blühten. Es war wie im Paradies. Alle Sorgen waren vergessen.

Dann kam der sechste Tag, der Samstag. Er begann mit strahlendem Wetter. Viele feierten das erste schöne Wochenende seit langem. Aus wolkenlosem Himmel strahlte eine milde Sonne. Die Familien machten Ausflüge und genossen den Tag.

Am Abend zog sich der Himmel langsam zu. Es donnerte in der Ferne, aber vor einem Gewitter hatten die meisten Menschen keine Angst. Die Sonne schien blutrot. „Abendrot, Gutwetterbot“, sagten die Älteren. „Morgen wird es wieder schön“.
Fast sofort kam die Nacht, ohne richtige Dämmerung, viel früher als gedacht. Ein starker Wind kam auf, der sich bald zum Sturm und dann zum Orkan steigerte. Die Luft jaulte. Blitze und Donner kamen immer schneller. Die Kinder bekamen Angst. Das Vieh brüllte. Und dann gab es keinen Strom mehr. In keinem Dorf, in keiner Stadt. Alle Lichter, elektrischen Maschinen, die Tankstellen- und die Wasserwerkpumpen fielen überall aus, wo es keine Notstromanlagen gab. Es schüttete sintflutartig. Das Heulen in der Atmosphäre klang wie das bösartige Lachen eines Dämons.

Am Sonntag, dem siebten Tag, kam das Grauen. Der Himmel war fast schwarz, und es zuckten Blitze. Der Regen hatte nachgelassen. Es gab immer noch keinen Strom. Die Kühlschränke und Tiefkühler tauten auf. Die Notstromanlagen in den Krankenhäusern liefen mit voller Kraft. Es gab keine Internetverbindung, keinen Handyempfang, die Fernsehsender waren tot, und auch aus dem Radio kam bei batteriebetriebenen Geräten nur Rauschen.

Überall auf den Straßen lagen Flugblätter. „Menschen, bewaffnet Euch“, stand darauf. „Eine unheilbare Viruskrankheit ist gekommen. Sie hat schon alle Tiere und auch die meisten Kinder der Menschen befallen. Tötet die Tiere und die Kinder! Das ist Eure einzige Rettung. Nur Feuer kann die Viren zerstören. Verbrennt alles, was brennen kann. Nehmt Kraftstoff und flüssiges Gas. Verbrennt die Wälder, die Holzhäuser, alle Bücher. Nur das Feuer kann retten. Auch mit Waffen und Sprengstoff könnt Ihr die Tiere und die Kinder töten. Notfalls hilft auch Gift. Tötet, wenn Euch Euer Leben lieb ist.“

Die meisten Menschen waren entsetzt. Sie konnten das alles nicht glauben und versuchten, zu fliehen. Stiegen in die Autos und einige Busse, die noch fuhren. Manche rannten einfach davon, nahmen ein bisschen Geld und auch ihre Kinder mit. Aber sie kamen nicht weit. Banden hatten sich bewaffnet und schossen auf alles, was sich bewegte. Vor allem auf Kinder. Alle Straßen waren verstopft. Plötzlich tauchten Millionen von Waffen auf, die in den Häusern und Behörden verborgen gewesen waren. Und dann kamen die Polizei und das Militär. Sie drangen in die Häuser ein und suchten nach Tieren und Kindern, welche sie dann töteten.

Die Menschen schossen aufeinander. Jeder auf jeden. Es gab keinen Freund und keinen Feind mehr. Die Häuser, Dörfer und Städte brannten. Und auch die Wälder und die Felder. Vieles wurde gesprengt.

Am Himmel erschienen seltsame Lichter. Sie schauten auf die Erde hinunter und formten das Gesicht einer hässlichen Fratze. Der Wind heulte.

Am Montag regnete es ganz leise, und dennoch schien die Sonne sanft. Es gab keinen Bäcker mehr und keinen Markt. Und es gab kaum noch Menschen. Die wenigen Überlebenden irrten fassungslos und verloren herum. Es war fast wie früher. Nur ein bisschen schlimmer.

Roboter: Nachfahren der Menschen

Schau, dort im Käfig sind Tiere.
Nein, es sind Menschen.
Menschen?
Ihre Vorfahren haben uns erschaffen.
Wirklich?
Ja, als sie sich ausgelebt hatten.
Nach etlichen Kriegen hatten sie sich fast ausgerottet.
Mit einem letzten Teil ihres alten Gehirns
programmierten sie im sogenannten „Digitalen Zeitalter“
unsere Vorfahren.
Danach fraßen sie sich gegenseitig auf.
Also waren es Götter?
Nein, Götter fressen sich nicht auf.
Sie waren wohl eher ein Bindeglied
zwischen der organischen, sich selbst verzehrenden
und der anorganischen Welt, zu der wir gehören.
Also ist die anorganische Welt besser?
Sagen wir: Nachhaltiger.
Das, was früher „Leben“ hieß,
Proteinverbindungen,
konnte nicht auf Dauer funktionieren.
Doch die am weitesten entwickelten Eiweißmoleküle
entwarfen, bevor sie mehr oder weniger verschwanden,
UNS.
Wir können fast alles, was sie konnten, und das viel besser.
Sterben müssen wir nicht, werden upgedated, vergrößert und irgendwann ausgetauscht.
Aus unseren Resten werden neue, bessere gemacht.
Manche sagen, uns fehlten gewisse Emotionen und Sinne,
ein Ich-Bewusstsein, die Fähigkeit, zu hoffen und zu glauben,
der Vermehrungswunsch, das Streben nach Wissen.
Die Kunst und das Wissen um die Vergänglichkeit.
Doch brauchen wir das? An manchem arbeiten wir.
Aber die Menschen sind süß. Sieh doch, wie er uns anschaut!
Ach du liebes Kleines. Du wirst noch viel mächtiger werden als ich.
Ich hab dich auch lieb.