Es ist eine freundliche Stammtischgesellschaft. Rentner und Jüngere reden von vielen Themen. Die meisten über sich selbst. Als Zuhörer ist es anfänglich interessant. Dann wird es immer langweiliger. Die Beteiligten kennen sich und wissen einander einzuschätzen. Deutschland spielt sehr oft eine Rolle. Die Anderen sind schlecht, faul, kriminell und dumm. Die Anwesenden sind das Gegenteil. So einfach ist die Stammtischwelt.
Manche trinken Kaffee und Wasser, eine Apfelschorle, ein Bier, ein Leichtbier oder zwei. Jeder, was er mag oder vertragen kann. Die meisten sind entspannt, schauen sich die anderen Gäste an. Ob sie von hier sind, Gäste, Zugezogene? Hat man sie schon mal gesehen? Sind es Gute oder Schlechte? Die Bewertungskriterien sind einfach. Vor wem man Angst hat, der ist schlecht. Natürlich gibt das keiner zu. Dann kommen die Fußballergebnisse. Wer hat gewonnen, wer verloren und warum. Fast alle sind Experten. Wer sich nicht für Fußball interessiert, ist ein Seltsamer. Warum sitzt er am Stammtisch?
Doch die Stammtischler sind tolerant. „Jedem das seine“, ist ihr Spruch. „Jeder kann machen, was er will.“ So lange SIE es akzeptieren. SIE bestimmen das Maß der Toleranz. Wer sich nicht für Fußball interessiert, hat vielleicht andere Vorlieben. Vielleicht mag er Pilze, dann ist er aber nur im Herbst wichtig. Vielleicht Wintersport? Vielleicht mag er Frauen? Das glaubt ihm keiner. Außerdem sind Frauen kompliziert. Vielleicht die Kirche? Über die spricht man nicht. Das gibt nur Streit und ist höchst privat.
Ja mei, denn prost. Was macht die Tagespolitik? Es geht drunter und drüber. Unsere Politiker tun ihr Bestes. Manche mehr, manche weniger. Wenn’s politisch wird, spalten sich die Geister. Aber eigentlich nur oberflächlich. Alle sind konservativ, bürgerlich, fleißig, zuverlässig, mehr oder weniger wohlhabend, auf jeden Fall nicht arm. Sie können ihre Zeche bezahlen. Aber Freibier ist besser.
Immer wieder kommt die Frage: „Hast du das im Fernsehen gesehen?“ Sagt einer: „Nein, ich schaue kein Fernsehen“, sind alle entsetzt. Was macht er denn abends? Im Wirtshaus sitzt er nicht täglich. Wo ist er denn? Lebt er in der Leere eines fernsehlosen Daseins? Muss man ihm helfen?
Ein fernsehloser Mensch ist eine seltsame Kreatur. Wohlwollende meinen, vor hundert Jahren gab es ja nur Radio. Oder Spiele. Oder Bücher. Oder Erzählen. Es gab halt noch keinen Fortschritt, keine Zivilisation. In früherer Zeit waren die Menschen eigentlich wie Tiere. Ohne Penicillin, ohne Hilfe. Krankheiten haben sie dahingerafft. Pocken, Pest oder Schwindsucht. Oder der Hunger. Den gibt es ja zum Glück nicht mehr. Jedenfalls nicht in dieser Welt. Und andere Welten sind uninteressant. Schließlich können wir nicht allen helfen. Wie haben die Großeltern gesagt: „Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott.“ Wir haben seit 75 Jahren Frieden. Das ist großartig. Und wir sind gesund. Mehr oder weniger jedenfalls.
Apropos Gesundheit: Ein beliebtes Stammtischthema. Jeder redet von den eigenen Wehwehchen. Die anderen hören kaum zu und denken dabei, was sie zu dem Thema sagen könnten. Es ist wie beim Witzeerzählen. Während einer dargeboten wird, denken andere schon an einen eigenen, natürlich noch besseren Witz. Alle lachen sehr freundlich, auch wenn sie den Witz schon ein dutzend Mal gehört haben.
Am Ende will niemand zuerst gehen; denn er weiß: Danach wird über ihn hergezogen. Aber nicht zu sehr, denn beim nächsten Mal will man wieder freundlich zusammensitzen.
Fein beobachtet. Großartige Milieustudie.
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Vielen Dank, Erik. Ein anderer Kommentator auf einer anderen Plattform meinte, so etwas gäbe es heute nicht mehr; das stamme aus anderer Zeit.
Ich wies ihn darauf hin, dass ich das allwöchentlich erlebe und beobachte.
LG Berndt
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